Sonntag, 12. Oktober 2008

(H)Eureka!

Die Fahrt in den kleinen Ort „Eureka Springs“, einem Touristenort im Nordwesten von Arkansas, führte uns durch Landschaften, die wohl wie kaum wie andere den gängigen Klischees des ländlichen Südens entsprechen. Vorbei an heruntergekommenen Farmen, Wohnwagensiedlungen, alten, verrosteten Klassikern des Automobildesigns in Vorgärten, fanatischen, bibelfesten Abtreibungsgegnern am Wegesrand, verschlafenen Kleinstädten, Trödelläden und Kuhweiden glitten wir durchs Land, das wahrlich den Namen “Redneck-Country” verdient. Sanfte Hügel, Wälder bis zum Horizont, über Flüsse und vorbei an Seen und Sümpfen ging es auf dem Highway 65 Richtung Norden.

Wann immer wir die Zeit finden, meiden wir die Interstates, den nur auf den Landstraßen bietet sich die Möglichkeit, einen Blick auf das „wahre Amerika“ zu werfen. „Auf dem Highway sieht man nur den Highway“, das sagt schon Dooby, der Fahrer und Inhaber von „Dooby’s Taxiola“ im Film „Ein Ticket für Zwei“. Dort, im Hinterland, entdeckt man die Tankstellen, Geschäfte und Motels aus jener Zeit, als das Reisen im Automobil noch jung war und so manches Bauwerk am Straßenrand steht dort unverändert seit knapp 70 Jahren. Dort versteht man auch, warum die Tornados und Hurricanes so gefürchtet sind, warum soviele Menschen bei mittelmäßigen Stürmen ihr Obdach verlieren, denn die Behausungen sind oft nichts anderes als Container oder aufgebockte Wohnwägen, die wahrlich keinem stärkeren Wind trotzen können. Doch auch die Holzhäuser machen oft keinen stabileren Eindruck.































- Nicht gerade ein Beispiel für eine amerikanische Musterfarm -

An einem kleinen Bretterverschlag mit der ungeschickt aufgemalten Aufschrift “Records – Elvis, Beatles…” hielten wir, vielleicht hatte der Laden etwas zu bieten? Ein unsägliches Gewirr der üblichen, amerikanischen “Antiquitäten”, meist Keramik- und Glasgefäße in unglaublich kitschigen Formen und alte Farmausrüstung sind im vorderen Teil des Geschäftes gestapelt. Doch dahinter bietet sich eine wahre Fundgrube an Schallplatten aller Epochen, 45er, 33er und auch Schallplatten mit 78 Umdrehungen, alles ist vorhanden. Den größten Teil des Angebots bilden (natürlich) Country-Tonträger. An der Wand hängen Sun-Singles von Johnny Cash, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins, allerdings zu stolzen Preisen, man weiß offensichtlich über den Wert Bescheid. Der Verkäufer, ein älterer Herr mit Bart und bläulichen Tätowierungen fraglicher Herkunft an den Fingerknöcheln, der unentwegt Zigarettentabak kaute, war in seiner Jugend – er ist Jahrgang 1940 – ein großer Plattensammler gewesen. “I made 29 bucks a week, and I spent 28 on records… …I would rather go hungry to bed…”. Er war weit herumgekommen, hatte unter anderem in Nashville als Tankwart gearbeitet und eines Nachts dem besoffenen Johnny Cash den Tank gefüll. “...How cool was that, it was in the middle of the night and there was my hero, out for some gas…” Da Herr Cash nur eine 10-Dollar-Note und eine 100-Dollar-Note hatte, die verständlicherweise niemand wechseln konnte – der Sprit war damals sehr billig -, beschloss er, vom nebenan liegenden, aber geschlossenen Gemüsestand, eine Wassermelone mit zunehmen, unser “Tankwart” sollte sie am nächsten Tag mit dem Wechselgeld bezahlen. Johnny Cash trug die Melone zum Auto, stolperte jedoch und fiel auf die Frucht, die natürlich zerplatzte. Aber anstatt sich eine neue zu nehmen, beschloss der “Man in Black”, die zermantschte Melone mit Klebeband zu flicken.
1956 hatte er zum ersten und einzigen Mal Elvis Presley live gesehen, ein Foto von der Menge vor der Bühne, das auch ihn und die drei jungen Damen, mit denen er das Konzert besuchte, zeigte, war ihm im Buch “Illustrated Elvis” aufgefallen. Um es uns zu beweisen, griff er im Chaos seines Ladens zielsicher in ein Kästchen, holte von dort das besagte Buch hervor und schlug die betreffende Seite auf. “…That’s my old greasy head over there…”
Er hatte auch Eddie Cochran und Gene Vincent gesehen, als Acts in einer großen Tour, die vor Stars der 50er-Jahre nur so strotzte. Jeder Act spielte nur zwei bis drei Songs und machte dann die Bühne frei für den nächsten. “…Back in those days in Fifties, it was the best music ever. Oh, it was great to be a young man back than…” So spricht also ein Zeitzeuge. Offensichtlich mache es ihm Spaß, von den alten Zeiten zu erzählen, es hatte den Anschein als würden sich nicht all zu viele Leute in den Laden verirren, fraglich ist, wie man davon leben kann. Neben den Sun-Platten hingen einige gerahmte Fotos, die den Verkäufer mit Musikern wie Roy Orbison oder Sonny Burgess in besseren Zeiten - und mit einem umfangreicheren Gebiss - zeigten. Der Autor des bekannten Songs „Singing the Blues“ – ein Hit sowohl für Marty Robbins als auch Guy Mitchell und von mehr als 100 Interpreten aufgenommen - zählte zu den Trinkkumpanen unseres Verkäufers. Er erwähnte auch, dass seine Kinder mit den Söhnen von Willie Nelson in die Schule gegangen waren, die Nelson-Bengel waren „wild as Willie“, wie er sich ausdrückte. Die Mutter eines Freundes war die beste Freundin von Mamie Lewis, die Mutter von Jerry Lee Lewis, dem „Killer“, auch „Louisana Fireball“ genannt, den er mit den Worten „just crazy“ titulierte. Kennt man die Biographie des „Killers“ – Nick Tosches „Hellfire - The Jerry Lee Lewis Story“ aus dem Jahr 1982 sei hier genannt, versteht man vielleicht was er damit ausdrücken will.
Zweifelsohne hat er noch mehr Anekdoten auf Lager. Nachdem wir uns für ein paar Platten entschieden hatten, die nicht mehr als einen Dollar pro Stück kosteten – allerdings keine der Sun-Scheiben – beschlossen wir dennoch weiterzufahren.






- zum Schluss noch ein Blick auf eine der Riesen-Flaggen -

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