Sonntag, 7. September 2008

Arkansas und die Wildschweine oder Warum die Amerikaner Sportfanatiker sind

Österreicher und Amis vereint
unter der wildesten Sau des Südens
thanks to Timothy Lim

Die USA sind ein Land des Individualismus. Von klein an sind die amerikanischen Kinder zur Unabhängigkeit angehalten, denn jeder Mensch ist für sein Schicksal selbst verantwortlich, durch Anstrengung, harte Arbeit, eine gute Idee oder auch durch ein außergewöhnliches Talent – als Beispiel sei hier der ehemalige Lastwagenfahrer aus Memphis genannt – kann es jeder Amerikaner, jede Amerikanerin, zu Wohlstand, Ruhm und Ehre bringen. Das ist das Kernelement des „amerikanischen Traumes“. So zumindest in der Theorie, den Minderheiten, die nicht dem Ideal von „White, Protestant and Anglo-Saxon“ entsprechen, haben es selbstverständlich ungleich schwerer.

Nicht der als unnatürlich angesehene, europäische Sozialismus mit seinem sinnlosen und kostspieligen Wohlfahrtsstaat ist laut der gängigen Meinung das natürliche Modell, denn nur auf sich allein gestellt, kann der Mensch sich verwirklichen und von seinem in der Verfassung garantierten Recht auf das Streben nach Glück Gebrauch machen.
Trotzdem findet der Stamm zu gewissen Ereignissen zusammen, um gemeinsam Rituale zu begehen - die die Nicht-Stammesmitglieder teilweise unverständlich finden - um dem Nachwuchs die Traditionen zu lehren, sie in die Kultur einzuführen und für eine kurze Zeit in einem Kollektiv gemeinsam schöne Erlebnisse zu erfahren, denn Amerikaner halten auch zusammen – ein Paradoxon?




Mehr zufällig als gewollt stolperten wir über so ein Stammesritual, denn die Wildschweine waren auf dem Weg in die Stadt. Bereits zuvor waren uns in diversen Geschäften, auf Fahrzeugen und auf Kleidungsstücken rätselhafte Symbole aufgefallen, die wir schließlich als das Logo der „Arkansas Razorbacks“ identifizieren konnten. Dabei handelt es sich um die Sportmannschaft der „University of Arkansas at Fayetteville“, weiter nordwestlich im Bundesstaat gelegen, und bei jenem Ereignis um ein Spiel dieser American-Football-Mannschaft an jenem Tage. Aus Mangel einer Heimmannschaft in ganz Arkansas in einer der großen Ligen des amerikanischen Profisports – es gibt weder einen Major League-Baseballverein, keine Profi-NFL-Footballmannschaft und auch keinen NBA-Basketballverein – sind beinahe alle Einwohner von Arkansas Anhänger der „Razorbacks“, auch „Hogs“ genannt (manche sind ohnehin der Meinung dass der Profisport seelenlos, oberflächlich und hoffnungslos kommerzialisiert ist und wahre sportliche Höchstleistungen nur in den unschuldigen und jungfräulichen Ligen der Universitäten möglich sind).




Das War-Memorial-Stadium, in einem idyllischen Park nördlich des Campus gelegen, sollte der Schauplatz des Kampfes der einheimischen Säue – denn brüderlich teilen sich die beiden Universitätsstädte die Ehre, Austragungsort der Spiele in der „SouthEastern League“ zu sein – gegen die verruchten „Warhawks“ aus Louisiana an diesem Tag werden. Der Park hatte sich seit dem Vormittag in ein riesiges, rot-weißes Fanlager der „Säue“ verwandelt, die Fans waren aus allen Teilen des Staates in die Stadt gekommen, das Spiel selbst sollte erst in den frühen Abendstunden angepfiffen werden. Karten waren natürlich schon längst keine mehr erhältlich, außer bei den üblichen Schwarzmarkthändlern – zu deutlich überhöhten Preisen, wie sich von selbst versteht.
Wir beschlossen, einen kurzen Blick auf das Fanlager zu werfen und ergatterten sogar noch Eintrittskarten in die Fanzone eines Geldinstituts. Dort gab es gratis Getränke – selbstverständlich alkoholfrei – und Speisen, Hühnchenpfanne, Rindfleischpfanne, grüne Bohnen und Mais, sowie Eiscreme und Donuts. Diverse Firmen nutzten die Gelegenheit des Menschenauflaufs um durch die Verteilung von kostenlosen Fanartikeln etwaige neue Kunden zu ködern und auch die Arkansas-Nationalgarde hatte einen Rekrutierungsstand aufgebaut, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass sich ein paar mit Bier und härterem Stoff Selbstversorgende nach dem alkoholbedingten Verlust des Urteilsvermögens doch noch freiwillig melden würden. Diverse Methoden der Rekrutierung ähnlichen Couleurs sind ja seit dem 18. Jahrhundert aus England bekannt.



Nachdem wir uns erstmal gestärkt hatten und ein paar Souvenirs ergattert hatten, erlebten wir auch noch ein außerordentliches Glück, die Ankunft von „Sooie“ am Stadion. Dabei handelt es sich um eine ausgewachsene Bache, bekannt für ihre lustigen Verkleidungen und Tanzeinlagen, die bequem in einem eigenem, äußerst komfortabel ausgestatteten Anhänger zu den Spielen chauffiert wird. Empfangen wurde sie – als eine der vier Maskottchen-Sauen der „Hogs“ - mit einer Fanfare und frenetischem Beifall der Anhänger. Nach diesem Spektakel wanderten wir weiter durch das Lager. Viele nutzten die Gelegenheit für ein BBQ oder ein kleines Besöufnis, manchmal auch in einer Doppelkombination, es herrschte Campingplatzstimmung, gemischt mit TingelTangel-Atmosphäre. Pavillon-Zelte mit Fernsehgeräten und kompletten Heimkinoanlagen waren aufgebaut, wer keine Karten für das Spiel hatte, konnte es auf den Bildschirmen verfolgen, mit dem Luxus, jederzeit über ein kühles Getränk, Hamburger, Toiletten und andere Annehmlichkeiten zu verfügen. Lässt man sich auf ein „Tratscherl“ ein, stehen die Chancen gut, von manchen auf das Spiel in ihrem temporären Garten eingeladen zu werden. Auch manche Snacks, wie Obst oder Wildschweinkekse (in der Form, ohne die Zutat) wurden kostenlos verteilt. Bei ähnlichen Gelegenheiten ist uns bereits die Spendierfreudigkeit des amerikanischen Volkes in den Südstaaten aufgefallen. Die Frage, die sich stellt, lautet: hat Nahrung in einem Land, das niemals eine Hungersnot erleiden musste, nun einen besonderen Stellenwert, ist es etwas, dass man gerne mit fremden Leuten aus Gründen der Freundlichkeit teilt, eben die sprichwörtliche „Southern Hospitality“? Oder ist es gerade, weil es im Überfluss vorhanden ist, leichter kostenlos zu verteilen, da man keinen persönlichen Verlust erleidet, der schwer zu kompensieren ist?
Der Unterschied zu europäischen Sportveranstaltungen liegt auch im völligen Fehlen von radikalen Anhängern, die auch vor dem Einsatz von Gewalt gegenüber den Anhängern der anderen Mannschaft nicht zurückschrecken (kann man das als ein Fehlen bezeichnen?). Es geht also etwas friedlicher zu, die Stimmung in einem Stadion ist trotzdem gr0ßartig und mitreissend.






Sooie bei Ihrer Ankunft am Stadion






Übrigens, die „Razorbacks“ gewannen mit 28 : 27.

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